Schon Rudolf Steiner (1861-1925), der Begründer der Anthroposophie, hat in seinen Lehren wichtige Impulse gegeben, welche in das heutige Konzept der Psychosomatik einfließen. Dabei geht es im Wesentlichen um die Wechselwirkungen zwischen Geist, Seele und Körper.
Der Begriff Psychosomatik setzt sich aus den griechischen Wörtern „psyche“ = Seele und „soma“ = Körper zusammen.
In einer Zeit, in der die ganzheitliche Betrachtung des Menschen immer mehr an Bedeutung gewinnt, bleibt der anthroposophische Ansatz der Psychosomatik eine wertvolle Grundlage für die Erhaltung oder die Wiederherstellung der Gesundheit.
In diesem Artikel möchte ich die Grundprinzipien der Psychosomatik näher betrachten und daraus resultierende Möglichkeiten aufzeigen, wie wir für uns selbst, oder mit der Begleitung von Ärzten und Therapeuten auf einem ganzheitlich gesunden Lebensweg bewegen können.
Der Aufbau des Menschen
Die Anthroposophie, wie auch viele andere geisteswissenschaftliche Lehren, betrachten beim Menschen nicht nur die materielle Ebene, den physischen Körper, sondern beziehen auch die emotionalen und spirituellen Dimensionen mit ein.
Entsprechend dieser Sichtweise gliedert sich das menschliche Wesen in den Physischen Körper, den Ätherkörper (Lebenskörper), den Astralkörper (Sitz der Seele) und das geistige Ich-Bewusstsein. Dabei ist zu berücksichtigen, dass diese Körpernlichkeiten nicht nebeneinander oder übereinander existieren, sondern sich gegenseitig durchdringen. Steiner sprach von „Lebenskräften“, die den Menschen durchdringen.

Seelische Konflikte und emotionale Belastungen
In der anthroposophischen Lehre spielen seelische Konflikte oder emotionale Belastungen wie Angst, Wut oder Trauer eine zentrale Rolle bei der Entstehung von Krankheiten. Steiner erklärt, dass seelische Probleme oft aus einem Ungleichgewicht in der menschlichen Entwicklung oder aus einem Mangel an innerer Harmonie resultieren. Wenn diese seelischen Konflikte nicht bewusst verarbeitet oder gelöst werden bleibt ein Ungleichgewicht in den Lebenskräften bestehen. Dies kann sich in physischen Beschwerden zeigen.
Ebenso wird davon ausgegangen, dass positive Emotionen und eine harmonische seelische Verfassung zu Heilung und Gesundheit beitragen können.
Diese Auswirkung besteht, weil der Körper als Ausdruck der Seele betrachtet wird. Das heißt, körperliche Symptome können als ein Spiegelbild der inneren seelischen Zustände gesehen werden. Daher ist es wichtig, die Lebenskräfte zu stärken und im Gleichgewicht zu halten.
Somatisierung
Den Prozess der Somatisierung verbildliche ich gerne. Dabei betrachte ich die neugeborene, reine Seele als einen glasklaren See. Vielleicht ein Bergsee, so klar, dass man auf den sauberen Seegrund blicken kann. Die Sonne lässt die Wasseroberfläche glitzern. Über die Jahre fallen Blätter auf die Wasseroberfläche. Vielleicht ist auch mal eine Feder dabei, ein Bonbon-Papier. Es sind die Erfahrungen die wir im Leben machen – in den unterschiedlichsten Farben, Formen und Größen. So lange dieser „Ballast“ auf der Wasseroberfläche liegt, besteht die Möglichkeit, dass der nächste Windstoß ihn wieder davonträgt, oder jemand kommt vorbei und nimmt ihn mit um ihn zu entsorgen. Einige Blätter werden auch verrotten, oder dienen den Wassertieren als Nahrung. Manche dieser Erfahrungen, oder auch Steine – kleine und größere – werden im Laufe der Zeit jedoch schwer zu Boden sinken. Wenn das Milieu kippt wird der See trüb und beginnt vielleicht sogar übel zu riechen. Die Sonnenstrahlen können nicht mehr reflektieren, der Blick auf den Boden bleibt verwehrt. Wenn dann auch der „Seelengärtner“ nicht bereit ist, sich des Sees anzunehmen und aufzuräumen, besteht wenig Hoffnung.
So sinken die in den höheren Ebenen entstandenen seelischen Beschwerden immer tiefer in das menschliche Wesen ein, bis sie sich schließlich auf der körperlichen Ebene (auf dem Seegrund) in Form von körperlichen Beschwerden zeigen. Die natürlichen Mechanismen der Regulation und Regeneration können ohne bewusste Auseinandersetzung nicht mehr greifen.
Nicht nur Kopfschmerzen, Magen- und Verdauungsproblemen oder chronischen Schmerzen können durch innere Konflikte ausgelöst werden. Auch kann eine anhaltende seelische Belastung das Immunsystem schwächen, was wiederum die Anfälligkeit für Krankheiten erhöhen kann. Traumata wirken sich oft nachhaltig auf die Funktion des autonomen Nervensystems aus. Doch im Grunde kann jedes körperliche Symptom mit einem Prozess in den höheren, seelisch-geistigen Ebenen in Verbindung gebracht werden. Einen Hinweis darauf kann man auch in den Büchern von z.B. Louise L. Hay, Rüdiger Dahlke oder Christiane Beerlandt bekommen.

Individualität
Jeder Mensch ist einzigartig. Deshalb ist es notwendig, dass die individuelle Lebensgeschichte und die persönlichen Erfahrungen eines Menschen berücksichtigt werden. Die Bedürfnisse des Individuums wollen gesehen und verstanden werden um emotionale Belastungen zu reduzieren. Ein achtsamer und empathischer Umgang eröffnet einen Raum der Sicherheit, der eine wichtige Grundlage auf dem Weg der Heilung ist.
Praktische Anwendung
Ich denke es ist wichtig, dass wir Eigen-Verantwortung für unsere Themen übernehmen und uns nicht länger als Opfer sehen. Wenn wir dazu bereit sind unsere psychisch- seelischen Themen wahrzunehmen, anzuschauen und aufzuarbeiten, haben wir eine große Chance, auch die damit in Verbindung stehenden körperlichen Symptome hinter uns zu lassen. Steiner betont auch die Bedeutung von Selbst-Bewusstsein, innerer Arbeit und spiritueller Entwicklung, um die zugrunde liegenden seelischen Probleme erkennen und transformieren zu können
Ein erster Schritt auf dem Weg zur Wiederherstellung eines seelischen Gleichgewichts ist die Wahrnehmung des eigenen Befindens und der eigenen Bedürfnisse. Allzu oft haben wir uns von unserem Körper und unseren Emotionen abgespalten um uns zu schützen. Verschiedene Entspannungstechniken oder meditative Übungen können dabei helfen wieder bei sich selbst anzukommen und wahrzunehmen was ist. Kreative Ausdrucksformen wie Malen, Musik oder Bewegung können dabei helfen die Lebenskräfte auszugleichen. Eine Liste mit „Dingen die mir Freude bereiten“ kann hilfreich sein, um den Fokus auf die eigenen Ressourcen zu lenken und diese öfter in den Alltag zu integrieren.
Idealerweise werden die Erkenntnisse der Psychosomatik auch in die Behandlung durch einen Arzt oder Therapeuten integriert, so dass sowohl die körperlichen Symptome als auch die seelischen und geistigen Aspekte des Patienten berücksichtigt werden.
Aktuell tritt immer mehr die körperorientierte Traumaarbeit in den Fokus, die, wie der Name schon sagt, die seelischen Themen über Körperarbeit aufdecken und bearbeiten will. Der Grundgedanke dabei ist der, dass unverarbeitete traumatische Erlebnisse im Körper, in den Zellen und im Nervensystem gespeichert werden. Für mich ist Trauma in diesem Kontext die Folge jeglicher Situation in der wir nicht angemessen reagieren können, und nach dem „Ende der Gefahr“ nicht mehr wieder in Bewegung kommen. Die craniosacrale Therapie, ein Teilbereich der Osteopathie ist eine sanfte manuelle Behandlungsmethode die hilfreich sein kann, um die körperlichen, aber auch energetischen Fehlregulationen zu erkennen und zu bearbeiten.
Die kognitiven Seelenarbeit – die Regressionstherapie nach Janos Prucsi- kann eine weitere hilfreiche Methode sein, um krank machende Prozesse zu erkennen und bewusst zu machen. Bei dieser Methode darf der Patient aktiv an seinen Themen arbeiten. Er wird in einen Zustand leichter Entspannung geführt (Alpha-Bereich), in dem das Bewusstsein vollständig erhalten bleibt, aber gleichzeitig ein Zugang zum Unterbewusstsein (Seelenebene) ermöglicht wird. So können die Hintergründe der auftretenden Probleme aufgedeckt werden. Oft genügen bereits ein Bewusstmachen und Aussprechen der Erfahrungen, um die Prozesse aufzulösen.
Auch möchte ich an dieser Stelle noch die Wichtigkeit von gesunden Lebensumständen erwähnen. Denn es ist zu bedenken, dass sich Körper und Seele auch gegenseitig beeinflussen: Die Seele wirkt auf den Körper und umgekehrt wirken sich die physischen Gegebenheiten auf die seelische Gesundheit aus. Dieses Feld umfasst eine gesunde Ernährung gleichermaßen wie Gesunde Wohn- und Schlafverhältnisse, Reduktion der Schadstoffbelastung, sauberes Trinkwasser, gesunde soziale Beziehungen und vieles mehr.
Fazit
Die Psychosomatik stellt eine wesentliche Grundlage für Erhaltung oder Wiederherstellung ganzheitlicher Gesundheit dar, die die Wechselwirkungen zwischen Körper, Seele und Geist berücksichtigt. Indem wir die seelischen und geistigen Dimensionen des Menschen in den Heilungsprozess einbeziehen, können wir ein tieferes Verständnis für die Ursachen von Krankheiten entwickeln und effektivere Heilungswege, sowohl auf körperlicher, wie auch auf psychischer Ebene gestalten.
Ich möchte dich dazu ermutigen, dich aktiv mit deinen inneren Konflikten und Bedürfnissen auseinanderzusetzen, um ein größeres Bewusstsein für dein eigenes Sein zu erlangen und damit selbstwirksam eine aktive Rolle in deinem Leben einzunehmen.